Emotionen begleiten

Geschrieben am 8. Juni 2020 von johanna

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Ich erinnere mich noch so gut an die ersten Monate mit meiner Tochter. Ich versuchte alles, damit sie so wenig wie möglich weinen musste. Aus irgend einem Grund war ich davon überzeugt, dass es meine Aufgabe war, sie vorm Weinen zu 'beschützen'. Ein zufriedenes, gut umsorgtes Kind würde ja nicht weinen müssen - waren meine Gedanken dazu.

Dies brachte mich einerseits unter enormen Druck. Als frisch gebackene Mama musste ich meine Tochter und ihre 'Sprache' ja erst kennenlernen. Ich konnte unmöglich bei jedem Aufschrei sofort den Grund ihrer Tränen erkennen. Andererseits nahm ich ihr damit die Möglichkeit, sich auszudrücken und Spannungen herauszulassen. Meine Hebamme hatte mir noch liebevoll mit auf den Weg gegeben, dass Babies mit dem Weinen Erlebnisse und Entwicklungen verarbeiten würden. Sie erklärte uns mehrmals wie es die einzige Möglichkeit für Malia wäre, etwas auszudrücken. Aber diese Botschaft verstand ich erst viel später. Wenn wir mit Malia alleine Zuhause waren, schien es ziemlich gut zu funktionieren, sie vom Weinen abzuhalten. Doch sobald wir unterwegs waren und mehr um uns herum passierte, wurden meine Nerven auf die Probe gestellt: Meine innere Anspannung und Unruhe schien auf unsere Tochter über zu gehen.

Kurz vor Malias erstem Geburtstag hörte ich das erste Mal von einem 'Begleiten' der Emotionen. Das Weinen wurde dabei als heilsam beschrieben. Das traf mich tief, da ich es selbst immer als etwas Positives erlebt habe. Als Kind durfte ich meine Tränen einfach herauslassen und wurde niemals als 'Heulsuse' bezeichnet. Stets wurde ich dabei ernst genommen.

Das Kind in seinem Weinen zu begleiten, bedeutet ganz einfach, es mit meiner Reaktion nicht zu unterbrechen. Denn stoppt das Kind seine Tränen, verbleibt innerlich eine Spannung, die eigentlich heraus wollte. Dies bedeutet einerseits, dass ich als Vertrauensperson es aushalten muss, die Tränen einfach fließen zu lassen. Keine Ablenkung und kein 'ist ja nichts passiert' oder 'ist schon wieder gut'. Diese Aussagen geben dem Kind die Botschaft: "Ich erlebe zwar Schmerz - sei es physisch oder emotional - aber meine Vertrauensperson sagt mir, dass es gut ist. Ich muss es unterdrücken und darf den Schmerz nicht zulassen." Außerdem bedeutet es, dass ich mich selbst als Vertrauensperson in einer solchen Situation gut spüren muss. Statt über zu reagieren, tief durchatmen und ruhig bleiben. Das erfordert wieder Arbeit an mir selbst. Für den einen mehr, für den anderen weniger. Je nachdem wie wir selbst mit Tränen umgehen. Hilfreich kann dabei sein, sich bewusst zu machen: Das Kind zeigt mir seine Emotionen nicht, um mir das Leben schwer zu machen. Es fühlt sich in meiner Gegenwart so wohl, dass es alles Angestaute ohne Scham herauslassen kann.

Nach der Pikler-Pädagogik habe ich gelernt, wie ich die Emotionen meiner Tochter ganz praktisch begleiten kann. Wenn die Tränen kommen, breite ich meine Arme aus und bin für meine Tochter ein sicherer Ort. Ich atme bewusst und ruhig. Ich lasse sie einfach alles heraus weinen. Wenn das Weinen schwächer wird, spreche ich den Grund an und bestätige sie in ihren Gefühlen. Das kann zum Beispiel so klingen: "Du hast dich beim Tisch angestoßen. Das tut so weh! Und geschreckt hast du dich wahrscheinlich auch."; Oder: "Ich habe gesehen, dass du dich geärgert hast. Das verstehe ich so gut." Dann lasse ich sie entscheiden, wann es für sie wieder gut ist und sie meine Arme verlassen möchte.

Ich habe immer wieder beobachtet: Wenn unsere Tochter vom Weinen abgehalten wurde, kam es später entweder in einem anderen herausforderndem Verhalten zum Vorschein oder sie blieb den ganzen Tag weinerlich und unruhig bis ich ihr bewusst die Möglichkeit gab, von ihrem Schmerz zu 'erzählen'.

Da dieses Begleiten nicht für jeden Menschen ganz natürlich und einfach erfolgt, kann man sich innerlich an folgende Worte halten: "Das ist die Krise meines Kindes, nicht meine. Emotionen sind hilfreich. Sie werden wieder gehen. Ich kann mit meinem Kind durch den Sturm gehen. Ich bin sein sicherer Ort. Oh wie wunderbar heilsam, wenn nach einem Gewitter wieder die Sonne aus seinen Augen strahlt, weil ich es mit meiner Ruhe sanft begleiten konnte."

Nun kann die Frage aufkommen, warum dieses Herauslassen der Spannungen überhaupt so bedeutend ist? Kinder beginnen ihre Emotionen zu verbergen, wenn sie stets davon abgelenkt werden. Der Schmerz wird von selbst nicht verschwinden. Mit der Zeit kann er sich in Wellen von Wut, Lügen oder Geheimnissen äußern. Er kann sich aber auch so verfestigen, dass es zu selbst-zerstörerischem Verhalten kommt oder zu Depressionen, Ängsten, Narzissmus, extremer Sensibilität, Perfektionismus und einem verhärteten Herz führt, das keine Liebe empfangen oder geben kann. Dies klingt hart, aber es zeigt für mich die Bedeutsamkeit einer gesunden emotionalen Entwicklung auf.

Ich möchte noch hinzufügen: Stresse dich nicht, wenn dich dieser Zugang anspricht, aber du bis jetzt ganz anders auf Emotionen reagiert hast. Ich habe mich nun fast ein Jahr mit diesem Thema beschäftigt und bin ständig am lernen. Ich bin kleine Schritte gegangen. Es ist ein Prozess. Irgendwann hat man es in seinem Alltag integriert. Außerdem glaube ich an einen Gott, bei dem Frieden und Weisheit zu finden sind, die jeden Verstand übersteigen. Er kann Dinge wiederherstellen, wenn wir ihn darum bitten.

In diesem Beitrag ging es hauptsächlich um das Weinen. Es werden noch weitere Beiträge folgen.

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2 comments on “Emotionen begleiten”

  1. Wow, super Artikel!!! Es erinnert mich daran, dass es so wichtig ist, das Erpebte von der emotionalen/ kreativen Gehirnhälfte in die mathematisch analytisvhe Gehirnhälfte zu bringen indem man das Kind und das Geschehen sprachlich begleitet. (wie du es beschrieben hast). Dann können sie es erst einordnen und "zu den Akten legen"... Ich hab das auch die letzten Jahre gemacht und es ist soooo schön, wenn sie dann erstmals sich selber in einer Krise verbal begleiten können!! 💯💯 Super Blog!!

    1. Ma genial, das mit den Gehirnhälften. Das ist ein weiteres Argument warum das Begleiten so wichtig ist! Danke dafür Johanna! Ich glaube wir müssen uns mal treffen und austauschen 😉 So schön, dass sie sich dadurch dann selbst verbal begleiten können! Auf das freue ich mich auch schon. Malia kommentiert manchmal schon wenn andere Kinder weinen "Kind traurig". Von ihren eigenen Emotionen spricht sie noch nicht. Ich denke, dass es so wertvoll ist, weil sie dann in der Krise selbst nicht völlig aussichtslos/verzweifelt dastehen. Sie fühlen sich gehört und gesehen und bekommen ein Werkzeug, gesund selbst durch Krisen zu gehen.

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